Die stille Grösse des «Monsieur Bötleer»
Im Baselbiet war man der Schweiz voraus:
Als Schweizer in Frankreich rettete er über 5000 Menschen und in Bubendorf erinnert eine Stiftung an ihn
Es gibt Wohltäter, die jeder kennt. Es gibt aber auch jene Helfer, die zwar Grosses leisten, aber kaum auffallen. Solch einer war der Künstler und Menschenfreund Hans Beutler, der es nicht mal zu einer Erwähnung im Schweizer Lexikon schaffte. Was man im Baselbiet schon länger tat, holte die Schweiz nun nach: Postum kam er zu späten Ehren.
Eine gewisse Parallele ist unverkennbar: Der 1938 seines Postens enthobene St. Galler Polizeikommandant Paul Grüninger, der über 3000 Flüchtlingen das Leben rettete und für diese Guttat noch verurteilt wurde, ist erst 1993 postum rehabilitiert worden und erst kürzlich benannte man in Jerusalem eine Strasse nach ihm. Der bernische Künstler und Philanthrop Hans Beutler, der über 5000 Menschen, meist Juden-Kinder, vor Verfolgung und Tod rettete, wurde zwar nicht bestraft dafür; denn er tat dies als Schweizer im Ausland. Doch er wurde auch nie offiziell gewürdigt; lediglich im basellandschaftlichen Bubendorf hat man seiner gedacht.
Ein Jahrzehnt nach seinem Tod erinnerte nun eine Lebenswerk-Retrospektive in jener bernischen Gemeinde, in der er geboren und verstorben ist, nochmals an diesen grossen Philanthropen. Sowohl politische Behörden als auch das Rote Kreuz sprachen jetzt Worte der Anerkennung aus, und – welch erfreuliche Feststellung! – im Patronatskomitee figurierte kein Geringerer als Bundesrat Samuel Schmid.
Weggefährte von René Gardi
«Unter dem Bogen» in Büren an der Aare, direkt neben dem Schloss der Bezirksverwaltung, da wo sein Vater, verheiratet mit einer französischen Hugenottin, eine Velowerkstatt führte, erblickte Hans Beutler 1913 das Licht der Welt. Seine Kindheit war von Krankheit überschattet. Erst bei den Pfadfindern blühte er richtig auf und übernahm später sogar eine Führungsrolle. Hier bahnte sich auch die Freundschaft mit dem späteren Reiseschriftsteller René Gardi an.
Der im Welschland erlernte Beruf als Grafiker weckte in ihm die Lust zu künstlerischem Schaffen als Zeichner und Maler. Landesweit bekannt wurde er durch seine Sujets zur Schweizerischen Nationalspende und zur Soldatenweihnacht bis hin zur Gestaltung des Weihnachtsbriefes von General Guisan. Zudem machte er sich einen Namen als Buch- und Zeitschriftenillustrator.
Über 5000 Menschen gerettet
Doch in Hans Beutlers Brust wohnte noch eine zweite Seele, die, geprägt von den Ereignissen des Krieges, immer mehr zu Taten drängte: sein Helferwille. So übernahm er 1942 im Tessin die Leitung eines Interniertenlagers für Jugendliche, wo er sich als pädagogisches Naturtalent entpuppte, worauf ihn das Kinderhilfswerk des Schweizerischen Roten Kreuzes mit der Leitung eines Kinderheims in Frankreich beauftragte, womit er Rotkreuzdelegierter wurde.
Seine Ankunft 1943 im Cevennendorf Le Chambon-sur-Lignon auf dem Plateau Central im Département Haute-Loire fiel mitten in die deutsche Besetzung Frankreichs. Bald beherbergte das einstige Hugenottendorf – wo die Leute aus Erfahrung wussten, was Verfolgung heisst – unter der aufopfernden Ägide von Hans Beutler ganze fünf Kinderheime, dazu Lehrwerkstätten und ein Bauerngehöft. Neben französischen fanden hier spanische, englische und belgische Kriegswaisen Unterschlupf.
Im Verlauf des Krieges sind in Le Chambon-sur-Lignon, das später zum Symbol der von der Schweiz aus geleisteten freiwilligen Hilfe für unschuldige Kriegsopfer wurde, über 5000 jüdische Kinder und Erwachsene versteckt und vor Verfolgung und Deportation gerettet worden. Nach Kriegsende übernahm das Französische Rote Kreuz diese Kinderheime, wollte aber auf die grosse Erfahrung des allen lieb gewordenen «Monsieur Bötleer» nicht verzichten.
Jugendrotkreuz-Mitbegründer
Erst 1956 kehrte Hans Beutler in die Schweiz zurück, blieb aber weiter im Dienst des Roten Kreuzes, für das er – ohne viel Aufhebens um seine Person – manchen Impuls lieferte: Unteranderem 1954 die Mitbegründung des Jugendrotkreuzes und zum 100-Jahr-Jubiläum des Roten Kreuzes die Inbetriebnahme der allerersten Autocars für Behinderte.
Private Stiftung in Bubendorf
Sammeln war eine weitere Leidenschaft von Hans Beutler. Das wussten seine vielen Schützlinge, die inzwischen in allen Herren Ländern lebten und ihm aus Dankbarkeit von überall her die von ihm gesuchten Objekte zukommen liessen: Kinder- und Märchenbücher, verzierte Ostereier, Kinderspielzeuge und Weihnachtskrippen vom ganzen Erdkreis. Zum Glück fanden diese einzigartigen Sammlungen noch zu seinen Lebzeiten eine neue, in einer Stiftung zusammengefasste und der Öffentlichkeit zugängliche Bleibe im Krippen- und Spiel-zeugmuseum in Bubendorf.
Der begnadete Künstler und grosse Menschenfreund mit seinem gewinnenden Naturell, einem Gemisch aus bernischer Behäbigkeit und französischer Weltoffenheit, hat sein Künstlertum restlos in den Dienst sozialer Helfertätigkeit gestellt. Sein Leben war in Stille gelebte Nächstenliebe. Unzählige verdanken ihm Gutes, viele sogar das Leben. Doch so bescheiden wie er selber war, so verkannt blieben seine guten Taten. Schön, dass man sich, ein Jahrzehnt nach seinem Tod, doch nochmals seiner erinnerte!
Heini Hofmann